Lockruf Home-Office

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Homeoffice ist in der Corona-Krise für viele zur täglichen Realität geworden. Welche Möglichkeiten die mobile Arbeit bietet und welche Risiken entstehen, erforschen unterschiedliche Studien. Unsere wichtigsten Erkenntnisse im Überblick.

Werden Büromenschen auch in Zukunft von Zuhause aus arbeiten? Stellenanzeigen geben einen Hinweis.

Die Corona-Pandemie hat viele Arbeitnehmer vom Büro an den heimischen Schreibtisch katapultiert. Wenn es ihnen dort gefällt, stehen die Chancen gut, dass sie weiterhin zumindest tageweise von zu Hause arbeiten können - auch bei einem Jobwechsel. Denn Unternehmen schreiben immer mehr Stellen mit der Option auf Home-Office aus. Das zeigt eine Studie des Instituts für Wirtschaftsforschung (Ifo) und der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt.

Insgesamt wurden mehr als 35 Millionen Stellenanzeigen von mehr als 200 Unternehmenswebsites und Online-Stellenbörsen aus den Jahren 2014 bis 2021 ausgewertet. Es zeigt sich: Zwischen 2019 und 2021 hat sich der Anteil von Angeboten mit der Option auf Home-Office mehr als verdreifacht. Während 2019 nur etwa 3,3 Prozent der Ausschreibungen ein Home-Office-Angebot enthielten, waren es im Jahr 2021 mehr als zwölf Prozent. Gerade in Berufen, in denen Heimarbeit bislang nicht üblich war, etwa im Baugewerbe oder im Bildungsbereich, sei ein starker Anstieg zu verzeichnen, heißt es in der Studie. Der Anteil stieg hier fast um das fünffache. Aber auch in Branchen, in denen viele Firmen ihren Mitarbeitern bereits vor der Pandemie Home-Office Möglichkeiten angeboten haben, hat sich der Anteil vervierfacht. Dazu gehört zum Beispiel die Finanz- und Versicherungsbranche. In der Informations- und Kommunikationsbranche hat sich der Anteil verdreifacht.

Ein Trend, der sich auch bei der direkten Befragung von Unternehmen manifestiert, wie das Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) in einem entsprechenden Branchenreport der Informationswirtschaft und des Verarbeitenden Gewerbes feststellt. Demnach rechneten viele Unternehmen der beiden Branchen schon zu Beginn der Pandemie mit einer Ausweitung des Angebots zum Home-Office, korrigierten ihre Einschätzungen im Laufe der Zeit allerdings immer weiter nach oben: Im Juni 2020 planten fast zwei Drittel der befragten Unternehmen damit, Home-Office auch nach der Pandemie einzusetzen, ein Jahr später sind es bereits 74 Prozent.

Auf der Arbeitnehmerseite sehen die Forscher des ZEW ebenfalls steigendes Interesse daran, von Zuhause aus zu arbeiten. "So geht derzeit etwa jedes zweite Unternehmen in der Informationswirtschaft davon aus, dass langfristig mehr als 20 Prozent der Beschäftigten mindestens einmal wöchentlich im Home-Office arbeiten werden", sagt ZEW-Wissenschaftler Daniel Erdsiek. Noch im Juni vergangenen Jahres rechnete nur jedes dritte Unternehmen damit.

Homeoffice-Nutzung während der Corona-Epidemie

Corona ist ein Katalysator für die mobile Arbeit: Ende Juni 2020 arbeiteten rund 16 Prozent der Befragten einer Umfrage der Hans-Boeckler-Stiftung überwiegend oder ausschließlich zu Hause. Weitere 17 Prozent gaben an, abwechselnd im Betrieb oder zu Hause zu arbeiten. Der Anteil der Beschäftigten im Homeoffice ist damit deutlich höher als vor Ausbruch der Pandemie, als nur 4 Prozent überwiegend oder ausschließlich zu Hause arbeiteten. Noch höher als zuletzt war der Anteil allerdings mit 27 Prozent im April 2020, also kurz nach Beginn der Coronakrise in Deutschland.

Überraschend gering war die Nutzung des Homeoffice hingegen im November 2020 ausgefallen, also im Zeitraum des "Lockdown Light". Nur 14 Prozent der befragten Erwerbstätigen gaben an, überwiegend oder ausschließlich Zuhause gearbeitet zu haben, obwohl die Politik an die Arbeitgeber appelliert hatte, mobile Arbeit flächendeckend möglich zu machen. Erst im Januar 2021 waren die Zahlen wieder annähernd auf dem Niveau vom April des Vorjahres, wie unsere neueste Befragungswelle zeigte. Darin wurde jedoch auch klar: Noch immer werden viele Beschäftigte mit Homeoffice-geeigneten Jobs zur Präsenzarbeit angehalten.


Gleichwohl dürfte das Homeoffice künftig eine größere Rolle in der Arbeitswelt spielen: Die Frage, ob sie damit rechnen, dass Homeoffice in Zukunft weiter verbreitet sein wird, beantworten 71 Prozent der Befragten unserer Juni-Befragung mit Ja.

Tatsächlich birgt die Arbeit zu Hause auch Gefahren, etwa durch psychische Überlastung, Vereinsamung oder Karrierenachteile. Diese Risiken können allerdings abgewendet werden, wenn klare betriebliche Regeln geschaffen und die notwendigen Rahmenbedingungen eingehalten werden, so eine Studie aus dem April 2021 von Forscherinnen des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) und des Instituts für Mitbestimmung und Unternehmensführung (I.M.U.) der Hans-Böckler-Stiftung.

In mitbestimmten Betrieben berichten Beschäftigte überdurchschnittlich häufig über positive Erfahrungen mit dem Homeoffice. In Betrieben mit Betriebsrat tun dies 86 Prozent, im Durchschnitt nur 77 Prozent. Fast die Hälfte der Befragten im Homeoffice möchte auch in Zukunft gern von zu Hause arbeiten. Dies deute auf eine „hohe Zufriedenheit und Offenheit gegenüber dem Homeoffice" hin, so die Forscherinnen.


Entgrenzung und Retraditionalisierung: Auswirkungen des Homeoffice auf Beschäftigte

Homeoffice kann tradierte Arbeitsteilung verstärken: Wer zu Hause arbeitet, bringt mehr Zeit für Sorgearbeit auf. Das gilt für Frauen stärker als für Männer. Es braucht also neue Regeln für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie und Anreize für eine gerechtere Aufteilung von Sorgearbeit. Das zeigt eine Expertise für den Dritten Gleichstellungsbericht der Bundesregierung, die Yvonne Lott vom WSI zusammen mit Claire Samtleben und Kai-Uwe Müller vom DIW verfasst hat.

Insbesondere bei Eltern sind Unterschiede zwischen den Geschlechtern zu beobachten: Mütter, die im Homeoffice arbeiten, kommen in der Woche auf drei Stunden mehr Betreuungszeit für die Kinder als Mütter, die nicht zu Hause arbeiten können. Bei Vätern sieht es anders aus: Sie machen im Homeoffice mehr Überstunden, nehmen sich aber nicht mehr Zeit für die Kinder.

Die Erfahrungen von Beschäftigten mit dem Homeoffice in Corona-Zeiten sind unterschiedlich: So sagen 77 Prozent, das Homeoffice erleichtere die Vereinbarkeit von Beruf und Familie. 60 Prozent glauben, die Arbeit daheim sogar effektiver organisieren zu können als im Betrieb. Allerdings haben 60 Prozent der Befragten mit Homeoffice-Nutzung den Eindruck, dass die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit verschwimmen.

Eng mit dem Thema Homeoffice verknüpft ist oft die Frage nach den Arbeitszeiten: Extrem flexible Arbeitszeiten gehen häufig zulasten der Beschäftigten, zeigt die Studie unserer Expertin für mobiles Arbeiten und Flexibilisierung von Arbeit, Yvonne Lott. Wer im Homeoffice tätig ist, kann abends oft nicht abschalten. Die Wahrscheinlichkeit liegt bei 45 Prozent und damit mehr als doppelt so hoch wie bei Beschäftigten, die nie zu Hause arbeiten.

Mobile Arbeit gut gestalten: Voraussetzungen und Best Practice

Was sind die Kriterien für eine erfolgreiche Gestaltung von mobiler Arbeit? Auf die Unternehmenskultur kommt es an, Arbeitgeber und Vorgesetzte müssen die richtigen Voraussetzungen schaffen. Dazu gehört auch eine Formalisierung der mobilen Arbeit: Ist Homeoffice vertraglich geregelt, machen deutlich mehr Arbeitnehmer gute Erfahrungen damit.

Örtlich und zeitlich flexibles Arbeiten ist heute in beinahe allen Branchen üblich. Das führt zu vielen Fragen, die sich am Präsenz-Arbeitsplatz weniger stellen. I.M.U.-Expertin Sandra Mierich hat die Inhalte von 67 aktuellen Betriebs- oder Dienstvereinbarungen analysiert. Dabei zeigt sich, was die neuralgischen Punkte sind.

Bei der Gestaltung von flexiblen Arbeitszeiten, insbesondere im Homeoffice, kommt es auf klare Regeln an: zeitliche Obergrenzen, Zeiterfassung, realistische Vorgaben für das Arbeitspensum, genug Personal und Vertretungsregeln.

Betriebe mit Betriebsrat haben bei der gerechten Gestaltung solcher Regeln die Nase vorn: Die Wahrscheinlichkeit, dass Betriebe flexible Arbeitszeitarrangements für Beschäftigte mit Betreuungspflichten wie Gleitzeit oder Homeoffice anbieten, erhöht sich demnach um 13,9 Prozentpunkte, wenn es einen Betriebsrat gibt.

In Zeiten von Corona, wo Hunderttausende über Wochen und Monate im Homeoffice arbeiten, wächst bei vielen Vorgesetzten das Bedürfnis, ihre Mitarbeiter zu kontrollieren. Machen sie sich im Homeoffice vielleicht einen lauen Lenz? Die Hersteller von Überwachungssoftware verzeichnen derzeit hohe Zuwachsraten. Doch eine elektronische Überwachung von Beschäftigten im Homeoffice ist nur in eng definierten Fällen erlaubt.

Zukunft der mobilen Arbeit: Ein Recht auf Homeoffice? Zurück zur Präsenzkultur?

Warum ein Recht auf mobile Arbeit und klare Regeln der Zeiterfassung sinnvoll sind, zeigen unsere Studienergebnisse. Viele Beschäftigte arbeiteten vor Corona aufgrund von Barrieren, die sich aus der Unternehmenskultur ergeben, nicht von zu Hause. Ein Recht auf Homeoffice würde vor allem Frauen helfen.

Nötig ist ein fairer Zugang für alle, die mobil arbeiten möchten und bei denen die Arbeitsinhalte mobiles Arbeiten möglich machen. Wichtig ist dabei eine klare Abgrenzung zwischen Arbeit und Freizeit, damit beides nicht immer weiter verschwimmt und Mitbestimmungsmöglichkeiten von Betriebs- und Personalräten. Darauf weist WSI-Direktorin Bettina Kohlrausch hin.

Ob wir ein ein "Recht auf Homeoffice" brauchen, haben wir auch zur Debatte gestellt: "Ja", sagt Astrid Schmidt, Verdi-Referentin in der Bundesverwaltung, Fachgruppe Telekommunikation/Innovation und gute Arbeit. "Nein", sagt Oliver Stettes, Leiter des Kompetenzfelds Arbeitsmarkt und Arbeitswelt beim Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln.

„Wir haben ein großes Potential an Beschäftigten, die im Homeoffice arbeiten könnten, aber es derzeit nicht tun" – unsere WSI-Expertin für mobile Arbeit, Yvonne Lott, beschreibt in einem umfangreichen Video-Interview des Unternehmensnetzwerks "Erfolgsfaktor Familie" (von 2019) die Trends der Homeoffice-Nutzung und ist überzeigt: Auch jenseits der klassischen Büro-Jobs gibt es Möglichkeiten für Arbeitnehmer*innen, zumindest Teile ihrer Arbeit mobil zu erledigen.

Folgt nach der Krise die Rückkehr zur Präsenzkultur? Es bestehe die Möglichkeit - bei allen Vor- und Nachteilen des mobilen Arbeitens - das Beste aus beiden Welten in die Nach-Corona-Zeit mitnehmen, schreibt Dorothea Voss, Leiterin unserer Forschungsförderung. Dazu haben wir Stimmen aus dem Homeoffice während der Coronazeit von verschieden betroffenen Menschen zusammengestellt.

Langfristig gehe es um einen Anspruch für Arbeitnehmer*innen auf Homeoffice bzw. mobile Arbeit, schreibt WSI-Expertin Yvonne Lott. Zwei Aspekte seien dabei zentral: Freiwilligkeit der mobilen Arbeit für die Beschäftigten und die Möglichkeit zu einer Mischung aus Homeoffice und Arbeit am Arbeitsplatz.


Quellen: Süddeutsche Zeitung; Hans-Boeckler-Stiftung

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