Die Arbeit im Home Office ist durch den Lockdown gesellschaftsfähig geworden und mittlerweile wollen die meisten Arbeitnehmer:innen diese Option nicht mehr missen. Deshalb werden immer häufiger hybride Arbeitsmodelle gefordert, die eine Mischung aus Präsenz und Remote darstellen. Doch während die Angestellten bereits viele Vorteile festgestellt haben, ist RemoteWork vielen Vorgesetzten noch ein Dorn im Auge. Eine aktuelle LinkedIn-Studie in Kooperation mit YouGov zeigt, dass viele Führungskräfte den Mitarbeiter:innen im Home Office nicht vertrauen. In diesem Rahmen wurden 2.050 Führungskräfte in verschiedenen Ländern befragt, wovon 253 in Unternehmen in Deutschland arbeiten.
Kritische Einstellung gegenüber Remote Work
Ganze 37 Prozent der von LinkedIn befragten Führungskräfte aus Deutschland geben an, sie fürchten negative Folgen für das Unternehmen, wenn sie ihren Mitarbeiter:innen flexibles Arbeiten ermöglichen. Kaum in einem anderen Land in Europa herrschen derartige Ängste vor Remote Work. Ganz konkret haben die Vorgesetzten Angst davor, dass ihre Angestellten im Home Office nicht arbeiten (38 Prozent). Obwohl gerade durch die Lockdowns viele Vorteile von Remote Work aufgezeigt worden sind, fehlt es Arbeitgeber:innen an Vertrauen zu ihren Angestellten. Zudem scheinen viele von ihnen ein Problem damit zu haben, dass sie ohne Präsenzarbeit keine komplette Kontrolle über das Tun ihrer Mitarbeiter:innen haben.
Doch damit nicht genug. 74 Prozent der Führungskräfte in Deutschland fühlen sich unter Druck gesetzt, neue Arbeitskonzepte durchboxen zu müssen und flexibles Arbeiten zu ermöglichen. Dieser Druck wird ihrer Empfindung nach sowohl von den Mitarbeiter:innen (40 Prozent) als auch vom Management (40 Prozent) ausgeübt. Einfach gesagt bedeutet das, dass Vorgesetzte sich gezwungen fühlen Remote Work anzubieten – denn eigentlich wollen sie dies gar nicht.
Führungskräfte gestehen fehlendes Vertrauen ein
An den eigenen Fähigkeiten zweifeln die Führungskräfte nicht. 71 Prozent glauben, dass sie die nötigen Skills mitbringen, um ihre Teams ortsunabhängig zu führen. Das größere Problem für sie sind die möglichen Risiken, beispielsweise erschwerte Kommunikation untereinander und die Befürchtung, Mitarbeitende könnten sich durch das Home Office bei Beförderungen und Co. benachteiligt fühlen. Das klingt zunächst auch nicht komplett unvernünftig. Doch Tatsache ist, dass der größte Knackpunkt das mangelnde Vertrauen ist: 38 Prozent der Befragten gibt zu, dass sie ihren Angestellten nicht vertrauen. Sie gehen davon aus, die Mitarbeiter:innen würden im Home Office alles tun, außer arbeiten. Aus diesem Grund wollen 70 Prozent auch weiterhin drei bis fünf Tage Präsenz am Arbeitsplatz. Barbara Wittmann, Country Manager bei LinkedIn DACH, kommentiert:
Führungskräfte in Deutschland müssen lernen, ihren Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen mehr zu vertrauen – nur so können Sie die Chancen nutzen, die sich durch den derzeitigen Wandel in unserer Arbeitswelt auftun, und nur so können sie sich langfristig als begehrter Arbeitgeber auf dem umkämpften Arbeitsmarkt positionieren. Gleichzeitig erfordert dieser Wandel auch eine Neuausrichtung der Unternehmenskultur, um sicherzugehen, dass sich alle im Team gleichermaßen gesehen und gefördert fühlen.
Diversity ja, Flexibilität nein
Interessant ist vor allem auch, dass die Führungskräfte sich bestimmter Vorteile von flexiblem Arbeiten bewusst sind. 84 Prozent glauben, dass hybride Arbeitsmodelle die Diversität in Teams positiv beeinflusst. Das liegt ihrer Meinung vor allem daran, dass sie ohne Ortsabhängigkeit aus einem größeren Bewerber:innen-Pool schöpfen können und sich mehr Personen bewerben, die auf Flexibilität angewiesen sind, beispielsweise Eltern. Insgesamt 70 Prozent wollen in den nächsten sechs Monaten Maßnahmen für mehr Diversität im Unternehmen vollziehen – flexibles Arbeiten befürworten sie dennoch nicht. Prof. Dr. Oliver Falck, Leiter des ifo Zentrums für Industrieökonomie und neue Technologien, erklärt dazu:
Schon vor der Pandemie scheiterten flexible und hybride Arbeitsmodelle weniger an technologischen oder organisatorischen Hindernissen, sondern eher an der Ablehnung durch die Vorgesetzten. Dabei bietet die Option ‚Home Office' Unternehmen nachweislich Vorteile, gerade im Recruiting – sie können ihren Suchradius ausdehnen und bei der immer größer werdenden Gruppe an Kandidat:innen punkten, die Flexibilität schätzen oder voraussetzen. Wer zum alten Status quo zurückkehrt, wird künftig mehr Schwierigkeiten haben, neue Mitarbeiter:innen zu finden.
Doch trotz der Vorbehalte, wollen immerhin 75 Prozent neue Arbeitsweisen etablieren. Im Fokus stehen außerdem Lernangebote (86 Prozent), beispielsweise zur besseren Zusammenarbeit trotz physischer Distanz. Ebenso sollen besonders junge Mitarbeiter:innen gefördert werden, denn 89 Prozent glauben, dass diese besonders benachteiligt sind, wenn sie nicht vor Ort im Büro arbeiten können. Schließlich würden ihnen dadurch viele Lernmöglichkeiten und Chancen zum Netzwerken fehlen.
Es bleibt zu hoffen, dass Führungskräfte mit diesen neuen Maßnahmen auch mehr Vertrauen zu ihren Angestellten entwickeln. Denn dauerhaftes Misstrauen wirkt sich negativ auf die Arbeitsatmosphäre aus und treibt außerdem einen Keil zwischen Mitarbeiter:innen und Vorgesetzte. Sich der Risiken von Remote Work bewusst zu sein, ist gut. So können Präventivmaßnahmen getroffen werden. Führungskräfte sollten jedoch aufhören davon auszugehen, dass im Home Office nicht vernünftig gearbeitet wird. Leistung sollte anhand der geschafften Arbeit bemessen werden und nicht am Standort.